Wednesday, January 16, 2008

In der Reimhölle

In der Reimhölle


Rolf-Peter Wille


Aus Langerweil’ ersinn ich diese Stanze.
Ersinne? Ach, es sinnt sich nichts! Ich leime -
Wie Don Quixote die zerbrochne Lanze -
Den Flickvers flott mit abgedroschnem Reime,
Und der verdirbt den Rhythmus, den ich tanze,
Erstickt das lyrische Gefühl im Keime.
Rhetorisch läßt sich allerlei ergänzen,
Sehr elegant, mit krönenden Sentenzen.

Geboren ward er wohl im duftgen Eden.
Auch in Italien sonnte er sich gerne,
Der luftge Reim. Einst spann er seine Fäden
Durch die Paläste bis in weite Ferne.
Es übte sich manch Prinz im edlen Reden,
Dass er Galanterie im Reim erlerne
Und als versierter Kavalier gewinne
Die süßen Früchte seiner noblen Minne.

Stolz singt Ottava rima der Arioste,
Denn schon Orlando liebt ja die Oktave
Und reitet durch die Stanzen, was es koste,
Nicht nur furioso - nein, auch klanglich suave.
Ein rechter Ritter reimt, bis er verroste,
Oder verratzt am Boden liegt, der brave.
Und wie der Lampengeist dem Aladdin
So dient die Stanze diesem Paladin.

John Milton war es dann, der bitterböse,
Der schmiss den Reim aus seinem Paradiese,
Aus dem verlorenen, dass er erlöse
Die Macht der Epik, und in dem Verliese
Brummt er nun eingesperrt, auf dass er döse
In alle Ewigkeiten, dieser miese.
Und so erblüht uns heut die Poesie
In ungereimt natürlicher Manie.

Jüngst fiel im düstren Wald ich in ein Loch
(Nicht mit Vergil - nein, ganz mit mir allein).
Trüb war es in der Höhle und es roch
Nach Schwefel, nach Verkohltem und Gebein.
Ich hörte scharfe Schreie und es kroch
Ein Wurm an mir vorbei in Weh und Pein.
"Wer bist Du, Wesen?" hub ich an zu fragen,
"Was willst Du Dich in dieser Höhle plagen?"

"Was soll das lästge Labern?" schrie der Wicht,
"Besoffen bist Du, Dichter - doch kein Dante!"
Ich schwieg betroffen, denn ich wagte nicht
Zu widersprechen, bis ich mich ermannte,
Das grause Monster anzustarrn im Licht
Des grellen Feuers, wo es grässlich brannte.
"Du bist", so sprach ich, "der verdammte Schleim
Der Dichtkunst, der vermaledeite Reim."

"Der prächtge Reim war ich - jetzt nur ein schlichter,
Ein schlechter Wurm im Feuersturm verloren.
Doch bleibt ein Freund mir noch, ein Stanzendichter,
Der mir vertraut. Er ist dazu erkoren -
Das Urteil stammt vom allerhöchsten Richter -
In diesem Loche hier mit mir zu schmoren.
Wenns Dich nicht wurmt, so reimen wir zusammen
Und dichten recht dramatisch in den Flammen."

Ich brenne! Hei, ich brenne in der Höhle!
Plumps, fall ich schweissgebadet aus dem Bette.
Noch glüht der Albtraum heiss in meiner Seele.
Wie scheusslich, dass ich mich mit einer Kette
Von Horrorimaginationen quäle
Und mich nur feige durch Erwachen rette!
Will ich denn einen Feuergeist entfachen?
Ich kann mir keinen rechten Reim drauf machen.




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